Der unerhörte Schrei nach Liebe und Leben
Die grausamen Folgen gesellschaftlich-familiärer Repression und Konvention, junge Schwestern gefangen in Ausweglosigkeit und Verzweiflung ein ästhetisch-dramatisches Theater-Kunstwerk des Darstellendes Spiel-Kurses der Heinrich-Mann-Schule
Das Licht ist aus. Es ist still im Mehrzweckraum der Heinrich-Mann-Schule Dietzenbach. Das Publikum richtet den Blick auf das noch unbelebte, dezent beleuchtete, spärlich ausgestattete Bühnenbild, erlebt dann den eindringlichen Aufmarsch der trauernden, in Schwarz gekleideten und verhüllten Töchter der Alba, die ihren Vater verloren haben und taucht durch weiterhin gewaltige Bildintensität und fesselnd klare Choreographie in die stille und gleichsam gewaltige Inszenierung des Stücks von Federico García Lorca „Bernarda Albas Haus“ des Darstellenden Spiel-Kurses des 9. Jahrgangs der Heinrich-Mann-Schule unter der Leitung von Bettina Steingass ein.
Das Stück beginnt mit dem Tod des zweiten Ehemannes von Bernarda Alba (Cagla Apandag). Die Familientradition verlangt, dass die Witwe nach der Totenmesse ihre fünf Töchter aufgrund der Ensemble-Stärke auf sechs erweitert zu acht Jahren Trauer verpflichtet. Für die jungen Frauen bedeutet das die komplette Isolation von ihrer Außenwelt. Damit beginnt der zentrale Konflikt des Dramas. Angustias (Lena Grimm) ist die einzige Tochter aus erster Ehe und erbte von ihrem Vater ein Vermögen. Aufgrund dessen und weil sie die älteste der Töchter ist, hat sie die Erlaubnis, sich mit Pepe el Romano zu verloben. Adela (Anna Behrens), mit 20 Jahren die jüngste, rebelliert gegen die strenge Ordnung und unerbittliche Härte ihrer Mutter und verliebt sich ebenfalls in Pepe, welcher ihre Liebe erwidert. Trotzdem entscheidet dieser sich aus finanziellen Gründen für die Heirat mit Angustias. Pepe el Romano trifft sich nachts nicht nur mit seiner zukünftigen Ehefrau Angustias, sondern auch heimlich mit Adela. Martirio (Julia Garlic), ihre eifersüchtige Schwester, denunziert Adela vor ihrer Mutter. In dem perfiden Verlangen, die Ordnung ihres Hauses wiederherzustellen, schießt Bernarda im Hof mit einem Gewehr auf Pepe el Romano. Als Adela den Schuss hört, glaubt sie fälschlicherweise, dass ihr Geliebter tot sei. Daraufhin nimmt sich Adela das Leben. „Aber ich liebe ihn!“, hallt als ihr letzter verzweifelter Ausruf unerhört nach und raubt dem Zuschauer schier den Atem, da der von ihr gewählte Freitod hinsichtlich ihrer ansonsten hoffnungslosen, lebensfeindlichen und gefühlskalten Lage ihre einzige Möglichkeit ist, selbstbestimmt zu leben und zu lieben. Aufgrund des Inhalts bzw. Themas kommt das Stück ohne hervorstechende Protagonisten aus und erlaubte durch seine Prägnanz und Pointierung in der Bearbeitung des Stoffes jeder einzelnen Spielerin, ihre eigene Rolle in ihrer Charakteristika voll und ganz auszuspielen und sich auch tief in das ambivalente Gruppengefüge der Schwestern einzufinden. Lena Grimm überzeugte hier als eher ausgestoßene und bevorzugte Älteste in ihrem Spagat ebenso wie jede andere und auch Anna Behrens war die Rolle der lebensfrohen, eigensinnigen und leidenschaftlichen Adela wie auf den Leib geschrieben. Nicht zu vergessen die nicht nur stimmlich einschüchternde Dominanz und Strenge der Mutter, glaubhaft verkörpert von Cagla Apandag, oder die komisch-skurile Rolle der Großmutter, in Stilbruch und Eigentümlichkeit amüsant zum Ausdruck gebracht von Anna Kerschbaumer.
Das Besondere des Stückes lag in den Emotionen, also der Monotonie und der Hoffnungslosigkeit der eingesperrten Mädchen, weshalb diese auch bewusst in den Vordergrund der Inszenierung rückten, hebt DS-Lehrerin Bettina Steingass hervor. In den Töchtern pulsiere Frust, gegenseitige Missgunst und Zorn auf die Mutter, die mit harter Hand auf die Mädchen aufpasst, damit die Ehre der Familie gewahrt bleibt. Die Sehnsucht nach Liebe bleibt dem Publikum dabei stets präsent, denn das Stück zeige auch, wie die Mädchen versuchen, sich zusammenzutun und ein bisschen Nähe und Spaß zu haben, zu tanzen, immer in der Angst, von der strengen Mutter erwischt zu werden, so Bettina Steingass.
Das Stück sei bewusst sparsam inszeniert worden: karges Bühnenbild, langsame, tänzerische Sequenzen ohne Dialoge, ergänzt Hale Türktorun (Schülerin, Regieassistenz) die Worte ihrer Lehrerin. „Wir haben versucht, eindrückliche stille Bilder zu inszenieren, die den Zuschauer zum Nachdenken anregen, weil sie ihn berühren. Und das ist ihnen auf einem hohen künstlerischen Niveau durch bestechende Ästhetik und starke theatrale Mittel eindrucksvoll gelungen!
Die Frage, warum sich der Kurs gerade für dieses Stück entschieden habe, beantworten die Schülerinnen schnell: „Wir haben darüber diskutiert, wie wichtig Freiheit ist. Und die Rechte der Frauen, denn das Stück ist nicht mal 100 Jahre alt. Dass Frauen wählen dürfen, ist auch hier in Europa noch nicht so lange üblich. Und die Auseinandersetzung damit, wie repressive und autoritäre Systeme sich erhalten, hat aktuell nicht an Bedeutung verloren!