Umarme das Leben!
„Wenn man den Holocaust überlebt hat, hat man die Pflicht, etwas aus seinem Leben zu machen“, sagte und lebte die 95-jährige Betty Bausch-Polak bei ihrem Besuch an der HMS ihren tief beeindruckten jungen Zuhörern authentisch, offen und herzensstark vor.
„Ihr gebt mir die Energie weiterzumachen“, mit einem herzlichen und gewinnenden Lächeln begrüßte die 95-jährige niederländische Zeitzeugin des Holocaust und NS-Regimes Betty Bausch-Polak die Oberstufenschülerinnen und -schüler der Geschichtskurse an der Heinrich-Mann-Schule. Sie habe bereits eine tolle Vortragsreihe hinter sich, die sie mit dem einen Ziel auf sich nehme: „Gegen den Rassismus zu kämpfen!“ Mitreißend erinnerte sie die jungen Leute an ihre Möglichkeit, in der noch vor ihnen liegenden Zukunft viel für eine bessere Welt tun zu können. Auch heute gäbe es so viel Diskriminierung, beispielsweise wegen der Hautfarbe oder Glaubensrichtung, „dagegen müssen wir kämpfen“.
Selbstverständlich plaudernd ging die damalige Widerstandskämpferin dazu über, von ihrem Schicksal und dem ihrer Familie zur Zeit des Zweiten Weltkrieges zu erzählen, einer Zeit des Schreckens und des Terrors, die sie nur knapp im niederländischen Untergrund überlebte hungernd, in ständiger Angst und Wachsamkeit, mit gefälschten Identitäten und ständig wechselnden Unterkünften, „man schlief in Kleidern, die Fluchttasche immer nah bei sich“. „Ich musste viel lernen“, berichtete sie eindrücklich, aufzupassen, was man sagt, stets äußerst vorsichtig zu sein, nie Angst zu zeigen und vor allem, eine Rolle zu spielen. „Wir wurden andere Persönlichkeiten“, jeden Abend habe sie geübt, sich ihre neue Identität eingeprägt, sogar vor dem Spiegel, „man wusste nie, was noch kommen würde“. „Ich wollte Schauspielerin werden, habe also gespielt“, das hat ihr oft in brenzligen Situationen das Leben gerettet, „ich war glaubwürdig geworden“. Von den vielen Mitmenschen, die ihr unter Einsatz ihrer eigenen Sicherheit geholfen hatten, berichtete sie immer wieder dankbar. So viele andere haben es nicht geschafft. Allein ihre Eltern habe sie nicht zur Flucht überreden können, sie seien in Bergen-Belsen umgekommen. Ihr erster Mann Philip, demgegenüber sie auf der Flucht so tun musste, als seien sie sich fremd „ein Abschied vom Ehepaarsein“ wurde nach Folterungen durch die Gestapo hingerichtet. Dies erfuhr die willensstarke Jüdin aber erst nach Kriegsende, daher sei ihr bei Bekanntwerden auch nicht nach Feiern gewesen. Noch 24 Stunden habe sein lebloser Körper unter vier anderen als Mahnmal im Regen gelegen, noch heute besuche sie jedes Jahr am Tag seiner Hinrichtung die spätere Begräbnisstätte. Außergewöhnliches Glück wurde dagegen Betty Bauschs Schwester Lies Polak zuteil, die dem KZ Bergen-Belsen entkam, da sie mit 200 weiteren Häftlingen gegen in Palästina lebende Deutsche auf dem Bosporus ausgetauscht wurde. Monate später fanden die Schwestern überglücklich wieder zusammen, leben heute beide in einem israelischen Seniorenheim, „telefonieren immer noch jeden Tag viel zu lange“ und haben gemeinsam über ihre Erlebnisse ein Buch geschrieben „Bewegtes Schweigen“.
„Ich sage immer: Wenn Schreckliches passiert, muss man immer auch versuchen, die guten Seiten zu finden!“, schloss Betty Bausch-Polak bewundernswert positiv die eindrucksvollen anekdotenhaften Eindrücke ihres bewegten Lebens und stellte sich gerne den Fragen der Schülerinnen und Schüler. Der schönste Moment sei z.B. gewesen, als sie ein Lebenszeichen von ihrer Schwester erhalten habe. Und auf die Frage, was sie stark gehalten habe während der Zeit, lachte sie „wir haben starke Gene“ und sie seien durch die berufstätige Mutter schon früh selbstständig geworden. „Man muss aus dem Leben was machen, es umarmen, auch in schlimmen Zeiten, und anderen helfen.“ Welch Geschenk, eine derart eindrucksvolle, optimistische und starke Persönlichkeit erlebt haben zu dürfen eine der letzten Zeitzeugen, die es noch gibt.