Überleben nach Ausschwitz
Auf Initiative der Fachschaft Politik&Wirtschaft wurde in
Kooperation mit dem Verein „Gegen Vergessen. Für Demokratie e.V.“ eine
Zeitzeugenveranstaltung mit dem Holocaust-Überlebenden Leslie Schwartz
für die Oberstufe angeboten. Zu Beginn konnten die Schüler über die
beeindruckende Dokumentation „Mühldorfer Todeszug“ einen Einblick in die
Lebensgeschichte Leslie Schwartz“ und insbesondere seine Befreiung
durch die amerikanischen Truppen im April 1945 an originalen Orten
erhalten. Im anschließenden Gespräch beeindruckte Leslie Schwartz seine
Zuhörer durch Offenheit und Humor. Er gehört zur „jüngsten“
Holocaust-Generation der Überlebenden. Im Jahre 1930 in Ungarn geboren,
war er erst 14 Jahre alt, als er nach Auschwitz kam. Nachdem er über
viele Jahre hinweg über sein Schicksal geschwiegen hatte, hat er 1972
erstmals wieder deutschen Boden betreten und u.a. Personen besucht, die
ihm 1945 zu überleben geholfen haben. Im Jahre 2007 erschien sein Buch
„Durch die Hölle von Auschwitz und Dachau Ein Junge erkämpft sein
Überleben“ mit einem Vorwort seines Freundes Max Mannheimer. Seit
einigen Jahren erzählt er seine Geschichte bei öffentlichen
Veranstaltungen, in Schulen und Universitäten in Deutschland, den USA
und Kanada. So war es für die HMS-ler eine einmalige Chance mit einem
Überlebenden der Hitler-Diktatur ins Gespräch zu kommen und hautnah zu
erleben, was es heißt, im Dritten Reich als Jude gelebt zu haben. Leslie
Schwartz berichtet authentisch und eindrucksvoll von seiner Kindheit,
seiner Zeit im Konzentrationslager, der Befreiung und seinem Leben nach
dem Krieg. Er erzählt von einer „relativ sorglosen“ Kindheit mit seinen
katholischen Schulkameraden. 1938 starb sein von ihm sehr geliebter
Vater Die Mutter heiratete erneut. Mit dem Stiefvater verstand er sich
nicht so gut. 1940 wurde die jüdische Schule geschlossen; László musste
fortan eine katholische Schule besuchen. Nach der Besetzung Ungarns
durch Deutschland wurden die Juden immer mehr aus der Gesellschaft
ausgegrenzt. Im Jahr 1943 verlor er wie alle ungarischen Juden – die
ungarische Staatsangehörigkeit. Im April 1944 wurden die Juden von
Baktalórántháza in das Ghetto Kisvarda transportiert, wo die Familie auf
die einheimischen jüdischen Familien verteilt wurde. Von dort wurde sie
im Mai 1944 mit dem Zug nach Auschwitz verbracht, wo die Familie an der
Selektionsrampe auseinandergerissen wurde: Der Stiefvater und László
kamen in eine Reihe, die Mutter und seine beiden Schwestern in die
andere. Diese hat er nie mehr wiedergesehen. László log vor SS-Arzt Dr.
Mengele, als er über sein Alter befragt wurde: 17 Jahre. So kam er nicht
in das Kinderlager. Es gelang ihm aber nach kurzer Zeit in Auschwitz,
gemeinsam mit seinem Freund Sandor, den er aus seinem Heimatort kannte,
einen Zug zu besteigen, der nach Dachau fuhr. Dort musste er über Monate
hinweg Zwangsarbeit leisten man nannte den 14-Jährigen „das Baby“ -,
bis er nur noch gerade mal 34 Kilo wog. Als Dachau 1945 von der SS
geräumt wurde, kam auch er mit 3.600 anderen Häftlingen in einen Zug,
der später als „Mühldorfer Todeszug“ bezeichnet wurde. Die SS hatte kein
Interesse daran, die Häftlinge in die Freiheit zu entlassen. Also ließ
sie den Zug von einem Bahnhof zum anderen in die Irre fahren. Einmal
hielt er an. Die Häftlinge dachten, dass sie nun frei seien, und
verließen den Zug. Bewegend schreibt und erzählt er, dass es in dieser
Situation wie auch schon zuvor in Dachau – einzelne Menschen gab, die
ihm als Kind und abgemagertem Häftling halfen, Menschen, die er nie
vergessen hat und zu denen er in der 70er Jahren einen Kontakt gesucht
und zum Teil gefunden hat. Die Freiheit war aber ein Irrtum und währte
nur kurz: Die SS schoss scharf, und an die 50 Häftlinge starben. Die
Kugel eines Hitlerjungen durchdrang László hinter dem Ohr und verletzte
ihn schwer. Auch die Amerikaner, die Luftangriffe flogen, begingen
fürchterliche Fehler. Da sie annahmen, dass sich in dem Zug Munition
befand, beschossen sie ihn. Schließlich wurde der Fehler aber erkannt
und die Häftlinge konnten am 30. April 1945 von amerikanischen Soldaten
im Bahnhof Tutzing befreit werden. Eine Notoperation rettete Leslie
Schwartz ein weiteres Mal das Leben und er fand Zuflucht in einem
DP-Lager bei Fürstenfeldbruck. Nachdem Lászlo Schwartz erfahren hatte,
dass seine ganze Familie nicht mehr lebte, begann er vermittelt über
einen Verwandten ein neues Leben in den USA und betrieb dort
schließlich eine Druckerei. Heute lebt Leslie Schwartz, wie er sich seit
damals nennt, mit seiner zweiten Frau einer Deutschen in New York
und Münster/Westfalen. 2013 erhielt Leslie Schwartz das
Bundesverdienstkreuz und im April dieses Jahres das Ehrenkreuz des
ungarischen Staates die höchste Auszeichnung des Landes. Der bekannte
US-amerikanische Filmschauspieler Tony Curtis war sein Cousin. Hier
zeigt sich die Familienlinie aktuell, da Leslie Schwartz an einer
Hollywood-Produktion beteiligt ist. Der Autor des Drehbuches ist Dan
Gordon und der Hauptdarsteller soll Ben Kingsley sein. Inhaltlich soll
es in dem Film, dessen Titel noch nicht bekannt ist um folgendes gehen:
Unter Bezugnahme auf die Romeo-Julia-Geschichte wird eine
Beziehungsgeschichte zwischen einer katholisch erzogenen junge Frau und
einem jungen Muslimen erzählt, der beim Islamischen Staat gekämpft hat.
Die Geschichte soll in Kanada spielen. Im Kern geht es aber natürlich
nicht um diese Beziehungsgeschichte, sondern um Demokratie und Terror
heute. Und in diesem Zusammenhang wird auch Bezug genommen auf den
14-jährigen Leslie Schwartz und seinem Leiden in Auschwitz bzw. Dachau.
Dies macht deutlich, dass die Leslie-Schwartz-Geschichte bis nach
Hollywood vorgedrungen ist, dass Leslie Schwartz auch in den USA einen
Namen hat und dass nicht unwichtige Personen, zu denen Dan Gordon und
Ben Kingsley gehören, das Thema wichtig genug finden, um daraus ein
aktuellen Film mit historischen Bezügen zu drehen.
Im Gespräch mit
den Schülern gelang es ihm durch seine fesselnde Erzählungsweise die
Schüler auch zu Fragen zu ermutigen und sie gelangen in einen
Gedankenaustausch über die damalige Zeit, aber auch über die aktuelle
politische Lage in Deutschland (Erstarken des Rechtspopulismus) und den
USA (Präsidentschaftswahlkampf und die Rolle Trumps). Zum Ende las
Leslie Schwarzt den Schülern ein Gedicht vor, welches als letzten Vers
folgendes beinhaltete:
„Think of the grandfather you never kissed.
All of the relatives that you have missed.
Raise up your voice and then raise your fist.
And tell the world never again“.
Mit diesen beeindruckenden und nachdenklichen Worten beendete er die Veranstaltung und gab den Schülern den Auftrag mit auf den Weg, sich für die Demokratie und Mitmenschlichkeit einzusetzen, auf dass sich die Geschichte des Dritten Reiches niemals wiederhole.