Wenn Schultheater auf Profibühne trifft: HMS-Schüler und Theaterprofis im kreativen Austausch über Büchners „Woyzeck“

Theater machen, live erleben, hinter die Kulissen blicken und sich mit Profis austauschen – diese besondere Erfahrung wurde dem Q3-Kurs Darstellendes Spiel von Marina Brügge zuteil. Der Kurs setzte sich intensiv mit Georg Büchners „Woyzeck“ auseinander – sowohl auf der eigenen Bühne als auch im Austausch mit dem Hessischen Staatstheater Wiesbaden.

Ausgehend von Büchners Werk entwickelten die Schüler im Rahmen des Unterrichts selbst die Szenencollage „Getötet, weil sie Frauen sind“. Statt den Text originalgetreu auf die Bühne zu bringen, entschieden sich die Schüler bewusst für einen eigenen Zugang. Der Kurs griff die Aktualität des Stoffs auf und setzte den thematischen Schwerpunkt selbst: Femizide – die Tötung von Frauen aufgrund ihres Geschlechts. Die Schüler beschäftigten sich mit Femiziden aus der heutigen Zeit, Tätermotiven sowie der rechtlichen Lage, brachten ihre eigenen Perspektiven ein und entwickelten einen Großteil der Szenen selbst. Mit Mitteln des zeitgenössischen Theaters prangerten sie auf der Bühne an, dass weltweit Frauen Opfer geschlechtsspezifischer Gewalt werden. „Uns war es wichtig, dass wir nicht einfach nur Büchners Text auf die Bühne bringen, sondern etwas Eigenes schaffen, das unsere heutige Realität widerspiegelt und uns bewegt“, erklärte Eleni Bekele aus dem Kurs. Das Stück endete mit einem klaren Appell – einer inszenierten Demonstration gegen Femizide: Die Darsteller riefen Slogans gegen Femizide und verteilten Flyer mit Informationen zu wahren Fällen – ein starkes Finale. „Uns war es wichtig, eine Botschaft zu vermitteln. Femizide passieren heute überall auf der Welt und mit unserer Inszenierung wollten wir ein Statement setzen“, fügt Eleni hinzu.

Das Interesse am Stück führte den Kurs Mitte Januar anschließend ins Staatstheater Wiesbaden, wo eine Führung mit Theaterpädagogin Rebecca Rasche spannende Einblicke in den Theaterbetrieb gewährte. Anschließend sah die Gruppe die Inszenierung von Regisseur Stefan Pucher, der sich ebenfalls mit „Woyzeck“ auseinandersetzte und Debatten unserer Zeit aufgriff. Neben Parallelen im Hinblick auf gesellschaftliche Machtstrukturen zeigten sich auch die verschiedenen Möglichkeiten, mit einem Stoff umzugehen. „Als ich meinen Text vor dem Mord an Marie wiedererkannte, wollte ich mitsprechen, aber dann kam etwas Überraschendes – in dieser Version hat Woyzeck Marie nicht umgebracht. Das hat mich irritiert und gleichzeitig begeistert, weil es eine neue Perspektive eröffnet“, erklärte Timo Langhagen, der Woyzeck in der Schulaufführung spielte.

Doch der Höhepunkt des Projekts folgte am 03.02.2025 an der HMS selbst: Rasche und der Hauptdarsteller des Wiesbadener „Woyzeck“, Abdul Aziz Al Khayat, kamen für einen Workshop in den Unterricht des Q3-Kurses. Gemeinsam analysierten sie das Stück und es fand ein Austausch über Inszenierungsentscheidungen, gesellschaftliche Aspekte des Dramas und verschiedene Möglichkeiten, ein Stück zu interpretieren, statt. Abschließend ermöglichten die beiden Vertreter des Staatstheaters dem Kurs einen Blick „hinter die Kulissen“ und beantworteten Fragen. Hierbei wurde den Abiturienten, von denen sich ein Großteil im Fach Darstellendes Spiel prüfen lässt, ein spannender Einblick geboten: Von der Vorbereitung auf eine Hauptrolle über die Zusammenarbeit mit dem Regisseur bis hin zum Einfluss der Schauspieler auf künstlerische Entscheidungen. Das Interesse war so groß, dass der Austausch sogar länger als geplant dauerte. „Zizou (Al Khayat) war so erzählfreudig, das war klasse. Es war eine einmalige Erfahrung, so offen mit Profis sprechen zu können“, resümierte Schülerin Isidora Purkovic.

Dieses Projekt zeigt, wie wichtig kulturelle Bildung ist und wie lebendig Theater sein kann – nicht nur als Kunstform, sondern auch als Mittel, gesellschaftliche Themen aufzugreifen und Diskussionen anzustoßen.